10.08.2022
Das Sozialpädiatrische Zentrum am Marien Hospital feiert 20-jähriges Bestehen
Begleiten, unterstützen und fördern: Innerhalb von 20 Jahren stieg die Zahl der zu betreuenden Familien im SPZ von 300 auf fast 4500 pro Jahr – die Tendenz ist weiterhin steigend.
Seit Ende der 60 Jahre gibt es Sozialpädiatrische Zentren in Deutschland. 1998 reifte die Idee zur Gründung eines eigenen Zentrums in Papenburg heran und wurde durch Dr. Ralf Gitmans, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde; Schwerpunkt Neonatologie und Neuropädiatrie sowie damaliger Chefarzt der Kinderklinik (1994-2012), realisiert. „Die Funktion eines SPZ besteht darin, auf die Lebenssituation entwicklungsgestörter oder –verzögerter Kinder und Jugendliche durch verschiedene Kompetenzen Einfluss zu nehmen. Im Prinzip ist es eine Erweiterung des bestehenden Angebots der Kinderklinik in Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie den niedergelassenen Ärzten“, fasst Dr. Gitmans zusammen.
„Zu Beginn haben wir übergangsweise die Räumlichkeiten der Kinderklinik genutzt. Für Gruppenaktivitäten wurde uns das frühere Wohnhaus des Hausmeisters zur Verfügung gestellt. Zwei Psychologinnen wurden mit ihren Sprechzimmern in der Verwaltung untergebracht“, erzählt Dr. Gitmans. Als der Konvent aus dem Krankenhaus auszog, wurden die Räume mit einer Förderung durch die Caritas umgebaut. „Den Antrag zur Förderung haben wir 2001 unter der Angabe von D-Mark eingereicht. Ein Jahr später erhielten wir ca. 100.000 Euro. Die Summe floss zum Beispiel in die Entkernung des Wohnbereichs. Dort entstand der heutige Eingangsbereich des SPZ“, berichtet er. Ende Mai 2002 wurde der erste Patient im SPZ vorstellig. Eine der ersten Mitarbeiterinnen im SPZ war Maria Stefens, eine Erzieherin aus Aschendorf, die sich mit Kleingruppen den Themen Ernährung und Übergewicht widmete und unter anderem mit den Kindern gemeinsam kochte. „Was das Personal angeht, hatten wir wirklich Glück, denn es sind einige auf uns zugekommen, auch aus dem ärztlichen Dienst der Kinderklinik. Ebenfalls bestand eine Kooperation mit dem St. Lukas-Heim in Papenburg, unter anderem mit einer Physiotherapeutin“, so Gitmans.
In den regelmäßigen Treffen mit den niedergelassenen Ärzten wurde über die Möglichkeiten des SPZ berichtet. „Die Entwicklung nahm langsam ihren Lauf, weil wir überhaupt nicht einschätzen konnten, wie der Bedarf in der Region ist. Zu Beginn hatten wir drei, vier Patienten pro Tag. Bis mich ein Arzt aus Emden kontaktierte. Er faxte mir eine Liste mit exakt 43 Namen. Der Bedarf war also doch ziemlich groß“, erinnert er sich. Häufige Diagnosen bezogen sich auf Entwicklungsstörungen in der Sprache und Motorik sowie Aufmerksamkeitsstörungen, die auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt wurden. Anfangs wurden ca. 300-800 Familien pro Jahr im SPZ betreut. Das Einzugsgebiet umfasste vor allem Ostfriesland, das Ammerland und das nördliche bis mittlere Emsland.
Spezialsprechstunde im SPZ: Helmtherapie bei Kopfschmerzen oder Schädelasymmetrie.
Betrachtet man die heutigen Diagnosen, stößt das multiprofessionelle Team vermehrt auf ADHS und Autismusspektrumstörungen. Diese werden ebenfalls in der Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt, mit der weiterhin eng kooperiert wird. „Damals ein Randthema, heute konzeptionell gut ausgearbeitet, sind die Therapiekonzepte für Kinder mit Fetaler Alkoholspektrum-Störung (FAS)“, sagt Gitmans. Diese entsteht durch mütterlichen Alkoholkonsum während der Schwangerschaft. „Die Fachbereiche sind mittlerweile eng miteinander verzahnt, das Wissen ist gereift, hier hat man auch durch Erkenntnisse in der Genetik gelernt bei der Anamnese kleinteiliger hinzuschauen“, erklärt er. „Diese Mehrdimensionalität in der situativen Betrachtung eines Kindes, bringt die Therapie zielgerichtet zum Erfolg“, meint Gitmans.
Seit Oktober 2012 steht das SPZ unter der Leitung von Prof. Dr. Andrea Caby, Professorin für Sozialpädiatrie/Sozialmedizin, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde; Schwerpunkt Psychotherapie.
Mittlerweile werden fast 4500 Familien pro Jahr begleitet. „Einige der Kinder sehen wir vom Säuglings- bis in das Jugendalter, wo wir nahezu an jedem Entwicklungsprozess teilhaben dürfen. Und wir sind sehr froh, dass die Gründung eines Sozialpädiatrischen Zentrums Familien und Kindern die Chance der wohnortnahen Versorgung ermöglicht hat“, sagt Caby. Mit der kontinuierlich steigenden Zahl an Patientinnen und Patienten wurden die personellen und räumlichen Strukturen in den letzten zehn Jahren ausgebaut.
Voran getrieben wurde besonders die Digitalisierung, außerdem beteiligt sich das Team an sozialpädiatrischen Forschungsprojekten oder der bundesweiten Einführung neuer Konzepte, um dem aktuellen Versorgungsbedarf entsprechend begegnen zu können. „Wir haben unsere Beratung immer weiter gestärkt und bieten spezielle Sprechstunden, unter anderem im Bereich frühkindliche Regulation, Urotherapie, Ernährungsberatung und Kopfschmerzen oder Schädelasymmetrie, an. Hinzu kommen Gruppenangebote für Eltern und Kinder“, erzählt Caby. „Gruppenangebote sind ein wichtiger Punkt, denn die Belastung von Eltern wirkt sich häufig auf die Entwicklung der Kinder aus. Der Blick auf die Zunahme zum Beispiel an Depressionen im Erwachsenenalter, erklärt dann eben genauso die Länge unserer Warteliste wie der medizinische Fortschritt im Rahmen extremer Frühgeburt oder der noch weiter geschulte Blick auf mögliche Entwicklungsstörungen in Krippe und Kita“, führt Caby weiter aus.
Im SPZ werden entwicklungsgestörte und –verzögerte Kinder und Jugendliche
begleitet, um ihnen Chancengleichheit zu ermöglichen.
Gitmans und Caby sehen beide Nachholbedarf im pädagogischen Bereich. „Inklusion ist eine tolle Grundsatzidee. Die personelle und auch finanzielle Herangehensweise ist jedoch leider nicht ausgereift. Da muss mehr investiert werden“, so Gitmans. Im Vordergrund des SPZ steht das Stichwort „Soziale Teilhabe“: „Wir möchten Ziele und Wünsche für Eltern und Kinder ermöglichen und dadurch für mehr Zufriedenheit sorgen. Vieles dreht sich um Chancengleichheit. Diese beginnt bereits in der Kita. Dabei ist es für uns wichtig, sich auch ehrenamtlich bei gesellschaftspolitischen Themen, unter anderem im Bereich der Bildung, mit einzubringen, um die Bedingungen im Sinne unserer Patientinnen und Patienten voranzubringen“, betont Caby. „Denn aktuell gibt es im Emsland noch einen großen Nachholbedarf im Hinblick auf die schulische Inklusion von Kindern mit Beeinträchtigungen, wenn nicht alle Schulformen vor Ort zur Verfügung stehen. Eltern sollten hier Wahlfreiheit haben und nicht auch noch darum kämpfen müssen, denn sie sind in der Begleitung ihrer Kinder schon an vielen Stellen genug belastet“, sagt sie abschließend.

Prof. Dr. med. Andrea Caby
Leitende Ärztin
Telefon: 04961 93-1384 | Fax: 04961 93-1459
spz@hospital-papenburg.de
Professorin für Sozialpädiatrie/Sozialmedizin
Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde
Schwerpunkt Psychotherapie